Geschichte und Kochrezepte einer spartakistischen Zelle am Bauhaus Weimar
Nicht nur der Titel, auch Autorschaft und Entstehungsgeschichte dieses Buchs sind kurios. Der anomyme Verfasser gibt an, den tagebuchartigen Bericht der Hannah R. nach mündlichen Informationen und Dokumenten, die er von deren Enkelin erhielt, verfasst zu haben. Hannah R. war in den frühen 1920er Jahren Köchin in einem Restaurant, Studentin am neugegründeten Bauhaus und Mitglied einer sehr aktiven revolutionären Zelle in Weimar. Sagenhaft bleibt Hannah R. für die LeserInnen, weil wir weder ihren vollen Namen, noch irgendwelche sonstigen näheren Daten zu ihrem Leben erfahren. Sagenhaft beeindruckend ist allerdings was der Autor Hannah R. aus ihrem täglichen Leben, von den politischen Aktionen ihrer Zelle, den theoretischen Debatten und ästhetischen Experimenten am Bauhaus erzählen lässt. Alles hat für sie unmittelbar geschichtliche Relevanz und die Lektüre des Buchs vermittelt sehr gut, wie viel in dieser Zeit, der Krise der Weimarer Republik, politisch und kulturell tatsächlich auf dem Spiel stand.
Als RevolutionärInnen kämpfen Hannah und ihre kleine Gruppe weiter trotz der Niederlagen der Revolutionen von 1918/1919, sie kämpfen gegen die Reaktion und die sich formierenden faschistischen Kräfte. Bewaffnete Auseinandersetzungen mit Nazis in der Stadt gehören ebenso zu ihrer Praxis wie Waffenraub und Fluchthilfe für verfolgte GenossInnen. Sie verteilen Flugblätter für den Streik und versuchen eine heruntergekommene Fabrik durch Agitation am Arbeitsplatz in öffentliches Eigentum zu überführen. Wo das nicht klappt, schaffen sie es, Suppenküchen zu unterhalten und einen selbstverwalteten Kindergarten für die Kinder der ArbeiterInnen auf die Beinen zu stellen – nach neuesten pädagogischen Konzepten aus der Sowjetunion, in denen Psychoanalyse und dialektischer Materialismus sich glücklich verbinden.
Mit den ästhetischen und gesellschaftswissenschaftlichen Strömungen und Entwicklungen setzen sich die revolutionären StudentInnen zumeist beeindruckend schlau auseinander. Sie treffen sich mit so illustren Persönlichkeiten wie Karl Korsch, Rainer Maria Rilke und Max Weber, um über die wichtigen Fragen der Zeit zu diskutieren. Die Entwicklung des Bauhaus selbst, das als Reformschule Kunst, Design und Industrie zum Wohle und Fortschritt der Menschheit vereinen wollte, sehen Hannah und ihre Freunde sehr kritisch. Die Meister der Schule, wie Klee, Gropius, Kandinsky fetischisieren die ‚ursprüngliche‘ ästhetische Form ebenso wie die moderne Maschine, anstatt zu sehen, dass erstere immer auch politischer Ausdruck der Gesellschaften sind, die sie hervorbringen, und dass letztere, die maschinelle Technik, im Kapitalismus stets Technik der Beherrschung von Menschen ist. Auch am Bauhaus hat die spartakistische Zelle den braunen Braten gerochen, wo sich radikale Positionen der Avantgarde mit neuen Irrationalismen wie anthroposophischem Okkultismus und Futurismus vermischten und sie sich fragen mussten, warum die Weimarer Rechten das Bauhaus eigentlich anfeindeten…
Kulinarische Bratengerüche durchwehen das ganze Buch. Jedes Kapitel schließt mit einem Rezept aus dem Repertoire der roten Köchin, mit dem sie dem Weimarer Bürgertum das Geld aus der Tasche zog, um nicht zuletzt ihre politische Arbeit zu finanzieren. Durchaus interessante Kreationen sind hier zum Nachkochen zu entdecken, andererseits mag manchen bei „Brunnenkresse-Creme mit Fröschen“, „Hirnsuppe“ und „Bratwurstnestern mit Weißwein“ der Lesegenuss vergehen.
Hannah R. und ihr Tagebuch sind wohl literarische Erfindungen, was Hannah R. erlebt, gedacht und getan hat, ist gleichwohl historische Wahrheit, zumindest in dem Sinne, als es historische Möglichkeit gewesen ist.